Bei vielen Migrationsbewegungen aus Europa haben auch Umweltgründe eine große Rolle gespielt.

„Heimat hat für mich sehr viel mit Menschen zu tun, Menschen, die ich gern habe.“
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Der Klimawandel wird tiefgreifende Auswirkungen auf unser Zusammenleben haben – in Österreich, Europa und in Ländern des globalen Südens. Aber wie wird sich der Klimawandel auf Migration und Mobilität auswirken? Fest steht, dass Migration und Mobilität, wie so oft in der Menschheitsgeschichte eine Überlebensstrategie sein wird und wir angesichts des Klimawandels umfassende Maßnahmen brauchen. Dabei dürfen wir die Menschen nicht vergessen, die aufgrund des Klimawandels feststecken und sich nicht aus Gefahrenzonen befreien können.

Mag. Dr. Monika Mayrhofer arbeitet am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte unter anderem zum Thema Migration, Menschenrechte und Klimawandel. Wir haben uns in Wien getroffen, um mehr über die komplexen Zusammenhänge zu erfahren.

 

Caritas Österreich: In der letzten Zeit wird immer deutlicher, dass der Klimawandel weiter fortgeschritten ist als bisher angenommen Wie wirkt sich der Klimawandel auf Migration und Mobilität aus?

Mayrhofer: Der Klimawandel wird sehr unterschiedliche Auswirkungen auf Migration und Mobilität haben. Die Begrifflichkeiten sind jetzt aber der erste Punkt, über den ich stolpere. Seitdem ich mich mit dem Thema beschäftigte, gibt es immer wieder Diskussionen, wie wir Mobilität im Zusammenhang mit dem Klimawandel nennen. Denn es gibt unterschiedliche Formen: Zum einen sogenannte „displacements“ oder Vertreibungen, aber auch freiwilligere Formen. Dann gibt es - und das ist den wenigsten Menschen bewusst – das Phänomen, dass der Klimawandel auch das Gegenteil bewirkt: Er verhindert Migration und Mobilität. Das ist ein Problem, das in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen ist, aber Schätzungen zufolge mindestens genauso häufig vorkommt, wie dass der Klimawandel, Mobilität mitverursacht.

Caritas Österreich: Was kann man sich darunter vorstellen?

Mayrhofer: Die meisten denken, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration gibt. Aber der Klimawandel wirkt nur sehr selten als einziger Grund für Migration, sondern immer zusammen mit anderen Faktoren wie Armut, soziale Herkunft, Familienverhältnisse, Bildung oder Geschlecht. Diese führen dann dazu, dass Menschen mobil oder nicht mobil sein können. Ein Beispiel wäre hier der Hurrikan Katrina in New Orleans 2005, wo aufgrund der Bedrohung große Teile der Stadt evakuiert werden hätte sollen. Aber natürlich konnten viele Leute nicht weg, weil ihnen die Ressourcen dazu gefehlt haben. Die so genannte "trapped population", also eingeschlossene Bevölkerung ist ein großes Problem. Ein anderes Beispiel ist, dass der Klimawandel Mobilitätsformen wie nomadische Mobilität unterbindet, weil die Menschen aufgrund von Dürrekatastrophen nicht mehr weiterwandern können. Wie gesagt, der Klimawandel ist nicht nur die Ursache dafür, dass Menschen migrieren, sondern er verhindert auch Mobilität und Migration. Sie sehen schon wie komplex das Thema ist.

Caritas Österreich: Wenn man von Klimawandel spricht, unterscheidet man von plötzlichen Wetterextremen und allmählichen Verschlechterungen der Umwelt. Was bedeutet das genau?

Mayrhofer: Plötzlich eintretende Wetter- und Klimaereignissen sind bspw. Wirbelstürme oder Überschwemmungen. Nach den Zahlen des International Disaster Monitoring Centre betrifft das überwiegend Südostasien, ganz stark aber auch Mittelamerika. Um die 60.000 Leute pro Tag werden heute schon vertrieben, durchschnittlich einmal die Stadt Wels pro Tag. Das sind enorme Zahlen. Hier muss man aber auch aufpassen, weil diese Form der Migration oft nur sehr kurzfristig ist. Das heißt die Menschen verlassen ihren Heimatort, solange bis es dort wieder gefahrenlos ist und sie ihre Häuser wieder aufbauen können. Man muss genau hinsehen, denn viele Menschen denken nicht sofort daran bspw. gleich ins Ausland zu gehen. Das würde auch bei uns niemand machen und das ist in Südostasien genauso. Bei den plötzlichen Wetterereignissen gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, dass es sich bei den meisten Menschen, die aufgrund der plötzlichen Wetterextreme migrieren, um Binnenmigration und Binnenvertreibung handelt. Das heißt, die Menschen bleiben in ihrem Land. Das gleiche ist der Fall bei so genannten langsam verändernde und immer schlechter werdende Klima- und Umweltbedingungen wie bspw. Dürreperioden. Auch hier kann man sagen, dass die Menschen eher Migrationswege folgen, wo es schon Erfahrungen gibt, bspw. vom Land in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen oder vielleicht in eine andere Region, wo alle anderen auch hingehen, bspw. in ein Nachbarland. Auch hier sagt man, dass der größte Teil der Menschen in den Ländern oder Regionen bleiben werden.

Caritas Österreich: Was braucht es auf der Ebene der internationalen Staatengemeinschaft?

Mayrhofer: Grundsätzlich gab es lange Zeit die Forderung, dass es ein eigenes rechtliches Instrument brauchen würde, um mit der offensichtlich bestehenden Schutzlücke umzugehen. Davon ist man in den letzten Jahren abgekommen, weil es nicht realistisch ist. Die Sache ist die, dass die unterschiedlichen Migrationsformen so divers sind, dass es schwer ist, wirklich einheitlich zu behandeln. Ich finde, nachdem ich mich ein paar Jahre damit beschäftigt habe, dass es zum Beispiel mehr legale Formen der Arbeitsmigration bräuchte. Da gibt es zwar keine konkreten Zahlen, aber die Schätzungen legen nahe, dass sehr viele Menschen nicht fluchtartig ihre Heimat verlassen und dann für immer wo anders leben wollen. Sondern es geht sehr oft darum, kurzfristig wegzuziehen, um den Lebensunterhalt aufgrund bspw. eines Ernteausfalls woanders zu verdienen und dann wieder zurückzukehren. Es bräuchte viel mehr Möglichkeiten der Arbeitsmigration und die Möglichkeit in schwierigen Zeiten das Einkommen zu diversifizieren und unterschiedliche Einkommensquellen zu erschließen. Klimawandel wirkt sich vielfach so aus, dass die Einkommensquellen immer schlechter werden und es wird immer schwieriger von Grund und Boden zu leben. Was mache ich dann? Ich gehe vielleicht auf Saisonarbeit. Das wäre ein Instrument, wofür Vieles sprechen würde.

Caritas Österreich: Manche Regionen wie bspw. in Westafrika oder Subsaharaafrika leben sehr stark von der grenzüberschreitenden Mobilität. Die Klimaerwärmung kann dies verstärken. Aktuell bewirkt die EU mit ihrer Entwicklungspolitik in dieser Region eher, dass grenzübertretende Mobilität erschwert und kriminalisiert wird. Was sind die Auswirkungen dieser Absicherungspolitik und welche Alternativen gäbe es dazu?

Mayrhofer: Grundsätzlich ist das höchstproblematisch, denn dies führt dazu, dass notwendige Arbeitsmigration unterbunden wird. Diese wäre aber wichtig als Einkommensquellen und für die regionale Entwicklung. Diese Maßnahmen sind sehr kurzfristig gedacht. Die EU ist in ihrer Entwicklungspolitik leider immer mehr darauf bedacht, die Sicherheitsaspekte in den Vordergrund zu stellen und Migranten und Migrantinnen als Sicherheitsproblem darzustellen. Das hat viele problematische Auswirkungen. Wenn aufgrund des Klimawandels Menschen, die für ihren Lebensunterhalt direkt von der Umwelt abhängig sind, es immer schwerer haben, davon zu leben und deshalb andere Arbeitsquellen suchen, dann wird das mit einer solchen Politik unterbunden.

Caritas Österreich: Hätten Sie Ideen zu Alternativen einer solchen Politik?

Mayhofer: Legale Möglichkeiten der Arbeitsmigration wäre eine Maßnahme, aber es ist schwierig hier mit einer einzigen Maßnahme zu kommen. Es wäre auch möglich, dass sich Staaten dazu entschließen, Umweltgründe in die nationale Gesetzgebung als Gründe für subsidiären Schutz [Anm.: internationaler Schutz, wenn im Herkunftsland das Leben gefährdet wird, aber klassische Flüchtlingsgründe nicht zutreffen] aufzunehmen. Beispielsweise bei lang anhaltenden Dürrekatastrophen. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind sehr wichtig in diesem Zusammenhang, da es immer mehr Katastrophen geben wird. Aber nicht zuletzt sei die Klimapolitik genannt: Man darf hier nicht nur an der Migrationspolitik ansetzen, sondern man muss auch klimapolitisch gescheit agieren und das betrifft ganz viele Bereiche: Von unseren alltäglichen Bereichen, Mobilität, Landwirtschaft, Energiegewinnung, und so weiter.

In einem Projekt haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie sich das Klimaregime, also das Kyoto-Protokoll, das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänerungen (UNFCCC) und das Pariser Abkommen, auf die Menschenrechte auswirken. Wir haben uns Energieprojekte in Panama, Uganda und Kenia angesehen, die im Zusammenhang der internationalen Klimarahmenkonvention bewilligt und als gut eingestuft wurden und von europäischen Ländern mitfinanziert werden, um eine positive CO2-Bilanz zu haben. Das sind sehr oft Kraftwerksprojekte. Alle drei untersuchten Energieprojekte haben dazu geführt, dass Menschen umgesiedelt oder vertrieben wurden. All diese Maßnahmen sind zweischneidig: Natürlich sind Maßnahmen zur CO2-Eindämmung wichtig. Nur die Frage ist: Was bedeutet das für die Menschen, bei denen diese Maßnahmen umgesetzt werden? In Panama bspw. leben die indigenen Gemeinschaften total klimafreundlich, sie verbrauchen kaum Energie und wollen auch an ihren angestammten Plätzen bleiben.

Caritas Österreich: Wie kann so etwas passieren? Man hat das Gefühl, dass viele Konsequenzen von eigentlich gut gemeinten Investitionen einfach nicht bedacht wurden?

Mayrhofer: Ja, wir müssen uns fragen, ob die einzelnen Maßnahmen wirklich unterm Strich besser sind. Ein weiteres Beispiel sind Aufforstungsprojekte, wo es darum geht Waldbestände zu erhalten. Hier kommt es immer wieder zu sehr starken Beschneidungen der Rechte der indigenen Bevölkerung, die plötzlich den Wald nicht mehr nutzen können. Diese Projekte, die eigentlich versuchen den Klimawandel einzudämmen, führen dann zu Vertreibung. Vertreibung, die eigentlich nicht im Zusammenhang mit dem Klimawandel steht, aber durch Klimaprojekte ausgelöst werden. Auch das wird sehr oft in der öffentlichen Debatte ausgeklammert. Maßnahmen müssen daher auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen gesetzt werden. Zu sagen, es bräuchte nur Hilfe für Menschen, die gerade von einem Sturm betroffen sind, ist einfach zu wenig. Das ist ein wirklich unglaublich umfassendes Problem, das unglaublich umfassende Maßnahmen braucht.

Ein grundsätzliches Problem aus einer rechtlichen, aber auch politischen Perspektive ist, dass wir es hier mit zwei Bereiche zu tun haben: Einerseits dem Klimawandel, der seine eigene internationale Agenda, Instrumente und Dokumente hervorgebracht hat und andererseits Migration und Flucht, mit ihren jeweils eigenen Agenden und Instrumenten. Diese waren sehr lange getrennt voneinander. In den letzten Jahren wird versucht diese vermehrt zusammenzudenken, was nach einer enormen Kraftanstrengung verlangt. Beim Klimaregime ging es nur darum, CO2 zu reduzieren, egal welchen Preis das hat. Da hat man überhaupt nicht weitergedacht, was das eigentlich für die Menschen bedeutet.

Caritas Österreich: Gibt es auch in Europa Anzeichen für klimabedingte Mobilität?

Mayrhofer: Natürlich gibt es die, schon ewig. Ein Beispiel war das Jahr ohne Sommer. Infolge eines Vulkanausbruchs gab es 1816 keine Sommer und das führte dazu, dass sich Europäer und Europäerinnen dazu entschlossen haben nach Amerika und Russland zu gehen. Natürlich ist es auch heutzutage ein Thema. Es gibt Schätzungen, dass Spanien und die mediterranen Länder sehr stark von Wasserknappheit und die Küstenregionen vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein werden. Das betrifft unterschiedliche Länder in Europa. In den Niederlanden wird kaum jemand sagen: Ich ziehe jetzt nach Deutschland, aber es wird Umsiedlungen innerhalb des Landes geben. Das würde ich noch gerne hinzufügen: In der öffentlichen Debatte wird Migration als etwas total Negatives im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung dargestellt. Das ist natürlich ein Problem. Seit Jahren gibt es Versuche der Wissenschaft und auch der Politik, das umzudeuten. Denn erstens flüchten Menschen schon immer aufgrund von Umweltveränderungen und –bedingungen. Das ist jetzt nichts Neues, dass Menschen ihre Heimat verlassen, weil die Umweltbedingungen schlechter geworden sind. Bei vielen Migrationsbewegungen aus Europa der letzten paar hundert Jahre haben Umweltgründe eine große Rolle gespielt.

Caritas Österreich: Man denke an Irland mit dem „Great Famine“, die große Hungerkrise im 19. Jahrhundert mit einer Million Opfer und einer Million Menschen, die Irland verließen.

Mayrhofer: Ja genau, das hatte eine starke Umwelt-, aber auch eine starke politische Komponente. Das ist, wenn man genauer hinschaut, bei heutigen Formen der klimabezogenen Migration auch so. Es gibt immer einen sehr starken politischen Zusammenhang. Interessanterweise wird diese Diskussion sehr oft ausgeblendet. Man könnte eigentlich sehr viel daraus lernen, wenn man zurückblickt und schaut, welche unterschiedlichen Bewältigungsstrategien es damals schon geben hat. Und das wollte ich noch herausstreichen: Es wurde in den letzten Jahren sehr stark daraufhin gearbeitet, Migration auch als Adaptionsmaßnahme zu deuten. Migration sollte als eine Form der Lösung gesehen werden, um sich an den Klimawandel anzupassen. Denn der ist de facto da und auch wenn wir sehr viel CO2 Ausstoß eindämmen, können wir nicht alles verhindern. Das heißt, wir müssen aktiv schauen, dass wir Adaptionsmöglichkeiten an den Klimawandel ermöglichen wie bspw. Arbeitsmigration und hier den öffentlichen Debatten eine positive Wendung geben. Es ist wichtig zu sagen, dass Menschen migrieren müssen und sollen, damit wir mit den Folgen des Klimawandels vernünftig umgehen können.

Caritas Österreich: Wen betrifft der Klimawandel am stärksten? Sie haben bereits gesagt, es betrifft alle weltweit?

Mayrhofer: Ja, allerdings werden die Strategien, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, sehr unterschiedlich sein. Ein sehr zentrales Thema ist die Frage nach der Ungleichheit und zwar in allen Formen, wie die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern oder der Verteilung von Reichtum. Europa wird auch vom Klimawandel betroffen sein, aber in Europa kann man sich stabile Häuser bauen, Klimaanlagen einbauen. Man hat Versicherungen, wenn ein Sturm kommt. Das ist ein enormer Unterschied und hat große Auswirkungen auf Migration. Was ich da aber auch noch dazu sagen möchte: Sehr oft wird das Bild transportiert, dass die ärmsten Menschen zu uns kommen werden. Das entspricht überhaupt nicht dem heutigen akademischen Wissensstand. Gerade die ärmsten werden es sich nicht leisten können wegzugehen und sich aus den Gefahrenzonen zu befreien. Migration ist eigentlich ein Indikator dafür, dass sich Länder und Regionen entwickeln und auf einem guten Weg sind. Denn es braucht Ressourcen und Netzwerke, um migrieren zu können. Das ist auch beim Klimawandel der Fall.

Caritas Österreich: Vielleicht noch einmal kurz zurück zum globalen Süden. Der Klimawandel betrifft Länder im globalen Süden deutlich stärker als Länder im globalen Norden - wo der Alpenraum die Ausnahme darstellt - was kann man konkret machen, um Gemeinschaften und Länder im globalen Süden besser zu unterstützen?

Mayrhofer: Länder im Süden betrifft der Klimawandel sehr stark, aber auch das hat nicht nur mit "exposure", also Ausgesetztheit gegenüber dem Klimawandel, zu tun, sondern auch damit, dass bspw. das Wirtschaftssystem sehr stark von der Landwirtschaft abhängig ist. Da kann man auch auf unterschiedlichster Ebene ansetzen, wie Investitionen in die Forschung, um die Landwirtschaft robuster zu machen, Umschulungen, Biolandwirtschaft. Auch da kann man auf vielen Ebenen ansetzen. Oder wir schauen, dass die Leute woanders Arbeit finden. Auch hier bedarf es ganz vieler unterschiedlicher Wege, wie man das Problem angeht.