Dr. Rita Rhayem ist die Generaldirektorin der Caritas Libanon. Kein Land hat - gemessen an der Gesamtzahl seiner Bevölkerung - mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen als der Libanon. Neben vier Millionen Libanesen leben derzeit etwa 1,5 Millionen Syrer auf einer Fläche etwa so groß wie Oberösterreich.

Im Rahmen des MIND-Projekts hat uns Rita Rhayem einige Fragen zu dieser Thematik und die Rolle der Caritas im Libanon auf unserem Blog beantwortet.

Caritas Österreich: Frau Rhayem, als einführende Frage: Mit welchen Programmen und Initiativen unterstützt die Caritas Libanon Flüchtlinge?

 

Rhayem: Die Caritas Libanon gibt es seit 1972. Seither unterstützt sie Binnenvertriebene, Wanderarbeitnehmerinnen und Flüchtlinge – zuerst Sudanesen, Iraker, Palästinenser und nun auch die Flüchtlinge, die im Zuge des syrischen Bürgerkrieges in den Libanon geflohen sind. Die Caritas Libanon verfolgt hier einen holistischen Ansatz – von der Bereitstellung von humanitärer Hilfe, physischer und psychischer Gesundheitsfürsorge, rechtlicher Hilfe bis hin zu Unterkünften. Als einzige humanitäre Organisation stellt die Caritas Libanon Unterkünfte für WanderarbeitnehmerInnen und syrische Flüchtlinge zur Verfügung, die Opfer von Menschenhandel oder Kinderehen geworden sind oder für jene, die andere Probleme hinsichtlich der Sicherheit oder Unterkunft haben. Darüber hinaus gibt es Programme, die den Einstieg ins Berufsleben beziehungsweise – im Fall von Wanderarbeitnehmern – die Rückkehr ins Ursprungsland erleichtern sollen. 

 

Caritas Österreich: Gibt es auch Projekte, mit denen die libanesische Regierung Flüchtlinge unterstützt?

 

Rhayem: Nein, Projekte werden nur von der internationalen Gemeinschaft finanziert.

 

Caritas Österreich: Sie haben Projekte erwähnt, die Flüchtlingen und WanderarbeitnehmerInnen offen stehen. Gibt es auch Projekte, die sich gleichermaßen an Flüchtlinge und Einheimische richten?

 

Rhayem: Natürlich. Wie bereits erwähnt ist Caritas Libanon seit 1972 aktiv, um diese Lücke zu füllen und bedürftige Libanesen zu betreuen. Wir arbeiten in verschiedenen Bereichen – ich habe vorher bereits den Gesundheitssektor erwähnt: Es gibt zehn Zentren und zehn mobile medizinische Einheiten, die medizinische Grundversorgung anbieten und den Menschen offen stehen. In Bezug auf Bildung stellt Caritas den Zugang zu Schulen sicher, die Sanierung von Schulen -von denen jeder profitiert- sowie vier Schulen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die nur libanesischen Kindern offen stehen. Weiters gibt es 750 junge Freiwillige, die in ganz Libanon am Aufbau von Kapazitäten von libanesischen Jugendlichen arbeiten – zum Beispiel durch Sommercamps oder durch die Sanierung von Schulen, Gefängnissen und Wohnungen. Von zentraler Wichtigkeit ist auch die Abteilung für Entwicklung wo mit der Hälfte aller libanesischen Gemeinden zusammen gearbeitet wird um Entwicklungsprojekte umzusetzen: Um die Kapazitäten von lokalen NGOs zu stärken und um neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Projekte reichen von Solarenergie bis zur eigenen Fabrik für die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Lebensmitteln, wo Produkte von ortsansässigen weiblichen Landwirten gekauft werden, um die Gleichstellung und Ermächtigung von Frauen zu fördern. Es gibt außerdem eine IT Hochschule für jene libanesischen Frauen, die ein solches Zertifikat brauchen um ihre Berufslaufbahn zu starten. Es gibt auch eine Abteilung für Soziales, die 36 Büros im ganzen Land umfasst, die sich ebenfalls mit Libanesen befassen. Diese Büros machen Hausbesuche, beurteilen die Bedürftigkeit der Libanesen und stellen Hilfeleistungen zur Verfügung. Zusammengefasst, die Caritas kümmert sich um LibanesInnen, Flüchtlinge und WanderarbeitnehmerInnen.

 

Caritas Österreich: Große Fluchtbewegungen stellen immer auch eine Herausforderung dar. Können Sie ein Beispiel nennen, wo sich so eine Fluchtbewegung in eine Chance gewandelt hat?

 

Rhayem: Es sind definitiv große Herausforderungen – besonders dadurch, da der Libanon ein sehr kleines Land ist. Österreich ist achtmal so groß wie der Libanon! Libanons Bevölkerung beträgt circa vier Millionen Menschen und dazu kommen 1.5 Millionen syrische Flüchtlinge sowie palästinensische Flüchtlinge, die entweder bereits im Land waren oder im Zuge des syrischen Bürgerkrieges geflohen sind, sowie MigrantInnen. Das bedeutet, dass 50% der Bevölkerung Flüchtlinge sind, die sich in extremen Notsituationen befinden. Der syrische Bürgerkrieg hatte einen Spillover-Effekt im Libanon und was wir nun sehen ist, dass viele Menschen unter die Armutsgrenze fallen Die Herausforderungen betreffen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Übernutzung von Services und Infrastruktur. Es herrscht auch das Gefühl vor, dass wir allen Widrigkeiten zum Trotz versuchen, es Libanesen zu ermöglichen, ihre eigenen Familien zu erhalten.

Im Hinblick auf positive Aspekte denke ich an die Unterkünfte der Caritas: Man erwartet sich Gräueltaten zu hören – Geschichten, die mit jeglicher Menschlichkeit im Widerspruch stehen: von Menschen oder Frauen die missbraucht wurden, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, von Frauen, die den Glauben an die Menschheit verloren haben, die sich umbringen wollten. Wenn man diese Geschichten hört, fühlt man aber auch Stärke und Widerstand, die sich hinter diesen Geschichten verbergen. Wenn man diese Frauen ansieht, sieht man, dass sie nicht nur hier sind, sondern, dass sie weiterkämpfen werden um sich das Leben so aufzubauen, wie sie sich es vorstellen. Es gibt aber wunderschöne Ergebnisse: Frauen, die in einer Caritas Unterkunft verbracht haben und durch die rechtliche und physische Unterstützung, die sie erfahren haben, als unabhängige Geschäftsfrauen nach Hause zurückkehren, die mit ihren eigenen Jobs ihre eigenen Leben kreieren. Diese Geschichten gibt es, aber man muss eine sehr schwierige Phase durchstehen um zu solchen Ergebnissen zu kommen. Aber Geschichten wie diese zeigen, dass wenn man widerstandsfähig ist und die Chance hat von NGOs oder der Zivilgesellschaft unterstützt zu werden, es Veränderungen im Leben geben wird.

 

Caritas Österreich: Wie nimmt die Öffentlichkeit im Libanon die hohen Zahlen an Flüchtlingen und MigrantInnen wahr?

Libanesen waren bis jetzt unsagbar großzügig wenn es darum ging syrische Flüchtlinge willkommen zu heißen; manchmal auch in ihren eigenen Wohnungen. Während der letzten acht Jahre hat die libanesische Gesellschaft viel Unterstützung geleistet. Durch die Wirtschaftskrise, die wirtschaftliche Belastung und die hohe Arbeitslosenrate werden Spannungen zwischen den Flüchtlingen und der libanesischen Gesellschaft offensichtlich. Dies passiert jedoch nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Ich denke aber, man fürchtet sich vor dem, was man nicht kennt. Wenn man die Person nicht kennt, hat man eine Fehlvorstellung von ihr. Aber wenn man diese Person kennenlernt, sieht man wie bereichernd das Kennenlernen einer neuen Kultur sein kann. Spannungen sind definitiv da, aber es gibt auch das Gefühl, dass jede/r LibanesIn bereits unter Bürgerkrieg oder unter dem Dasein als Binnenvertriebene/r gelitten hat und daher weiß, wie es ist, wenn man gezwungen ist sein Zuhause zu verlassen. Aus diesem Grund heißen wir syrische Flüchtlinge willkommen. Es ist jetzt jedoch der Zeitpunkt gekommen der internationalen Gemeinschaft zu sagen ‚Wir als LibanesInnen ersticken, wir können so nicht weitermachen. Wenn ihr möchtet, dass wir weiterhin helfen, dann bitte fangt an uns zu helfen.‘ Das ist es grundsätzlich.

 

Caritas Österreich: Gab es Versuche, Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen?

Definitiv. In Schulen sitzen SyrerInnen und LibanesInnen nebeneinander, sie spielen miteinander. So haben wir begonnen und jetzt kann man das in der Gesellschaft sehen - syrische und libanesische Frauen kommen zusammen. Es ist definitiv nicht so, als wäre nichts passiert und als würden wir alle unter sehr guten Bedingungen leben. Die Spannungen sind da, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind sie mehr oder weniger überschaubar. Aber durch die Wirtschaftskrise und die schwerwiegenden Kürzungen der Budgets für humanitäre Unterstützung für syrische Flüchtlinge im Libanon erwarten wir, dass diese Spannungen ansteigen werden.

 

 

Caritas Österreich: Hat der syrische Bürgerkrieg die Arbeitsweisen der Caritas Libanon verändert?

Definitiv. Er setzt Caritas Libanon stark unter Druck. Er übt Druck auf unsere Einrichtungen aus. Man muss sich nur vorstellen, dass wir in einem unserer Gesundheitszentren circa 40 Personen pro Tag empfangen haben, und jetzt sind es 140. Die Arbeit verdreifacht sich, während die zur Verfügung stehenden Ressourcen gleichbleiben. Wir empfanden definitiv ein Burnout, wir hatten Phasen wo unsere Angestellten ein Burnout hatten. Darüber hinaus sind unsere Kulturen sehr unterschiedlich, auch wenn wir Nachbarländer sind. Manchmal muss man eine andere Einstellung haben wenn man mit Leistungsempfängern arbeitet. Ihre Geschichten zu hören, ist psychisch ermüdend, wenn man sich vorstellt, wie weit eine schwangere Frau zu gehen hat. Das ist psychisch ermüdend. Wir haben definitiv die Art und Weise geändert in der wir manche Leistungen erbringen. Zum Beispiel im Bereich der Müttergesundheit, wo wir eine weibliche Gynäkologin angestellt haben um die syrische Kultur zu respektieren. Wir haben uns die Kultur definitiv auch von einer religiösen Perspektive angesehen. Ich kann sagen, dass viele neue Projekte umgesetzt wurden, aber was wirklich wichtig ist ist, dass wir sichergestellt haben, alle Projekte zu evaluieren. Der syrische Bürgerkrieg dauert nun acht Jahre an und man kann sehen, wie sich das Angebot von Caritas Libanon im Lichte der Bedürfnisse geändert hat. Im Bereich Gesundheit z.B. konzentrieren wir uns nun auf Müttergesundheit – das war schlichtweg nicht vorrangig für jemanden der bloß eine Unterkunft und einen Platz zum Schlafen sucht. Dann haben wir uns auf chronische Krankheiten konzentriert und nun auf psychische Gesundheit. Das ist genau das was passiert – wir bewegen uns von humanitären Basisleistungen zu rechtlichen Angeboten und zu protection. Wir bieten trotzdem weiterhin die humanitären Basisleistungen an, aber wir fügen zusätzliche Leistungen hinzu.

 

Caritas Österreich: Haben sich die Umstände zu Asyl und Migration – z.B. im Hinblick auf den Arbeitsmarkt - durch den syrischen Bürgerkrieg geändert?

Libanon hat das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge nicht ratifiziert – das muss man im Hinterkopf behalten. In Bezug auf den Arbeitsmarkt war es SyrerInnen erlaubt in genau bestimmten Branchen zu arbeiten, wie z.B. Landwirtschaft und Bauwesen, und das hat sich auch durch den syrischen Bürgerkrieg nicht verändert. Unglücklicherweise – und das hat mit dem Bürgerkrieg zu tun, nicht mit den Flüchtlingen – hier ist es wichtig zu unterscheiden - sperren viele Firmen zu bzw. sind gezwungen Angestellte zu entlassen. Die Arbeitslosenrate unter den LibanesInnen ist hoch. Darüber hinaus stellen manchen SyrerInnen anstelle von LibanesInnen an, da sie niedrigere Löhne zahlen können und keine Abgaben leisten müssen. Also ja, der syrische Bürgerkrieg hatte einen Einfluss und die syrischen Flüchtlinge hatten einen Einfluss auf die libanesische Wirtschaft.

 

Caritas Österreich: Gab es Veränderungen im Hinblick auf policies (Politik? Gesetzeslage?)? Im Bildungssektor zum Beispiel?

Im Schulwesen haben wir ein zwei-Schichten-System: Im Libanon gibt es circa 500.000 SyrerInnen, die die Schule besuchen sollten. Zum jetzigen Zeitpunkt sind davon circa 300.000 nicht in der Schule angemeldet. Der Grund ist nicht, dass die libanesische Regierung das nicht will; es gibt dafür viele verschiedene Gründe. Die libanesische Regierung hat sichergestellt, dass es zwei Schichten gibt: Am Vormittag werden LibanesInnen unterrichtet und –je nach vorhandenen Plätzen - SyrerInnen. Am Nachmittag werden syrische Flüchtlinge unterrichtet. Manchen sagen, dass das einen negativen Einfluss auf unser Curriculum hatte – Syrien und Libanon haben sehr unterschiedliche Curricula. Im Libanon wird außerdem alles in Französisch oder Englisch unterrichtet; nur arabische Literatur wird in Arabisch gelehrt. In Syrien ist das anders – daher gab es ein paar Veränderungen. Da kommen die Projekte der so genannten Abhilfeklassen und forcierten Lernprogramme ins Spiel – um diese Lücke zu schließen und um sicher zu stellen, dass LibanesInnen und SyrerInnen auf den gleichen Stand kommen.

 

Caritas Österreich: Noch eine Frage zur Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft: Welche Art von Unterstützung wird im Libanon gebraucht? Wir haben vorher bereits das RHEP Programm angesprochen – welche Unterstützung gibt es für Caritas Libanon?

Wenn man sich ansieht, dass UNHCR erst 45% aller benötigten Fördermitteln für 2018 erhalten hat, sieht man, dass ein gravierender Mangel herrscht. Ich denke, dass wir uns mehr dafür einsetzen müssen, dass es nicht nur um syrische Flüchtlinge geht – es wird zu einer regionalen Krise, die SyrerInnen und LibanesInnen in gleichen Maßen betrifft. In manchen Gebieten wahrscheinlich sogar LibanesInnen mehr als SyrerInnen. Es ist sehr wichtig sich für Folgendes einzusetzen: Wenn die Medien nicht über den syrischen Bürgerkrieg sprechen, heißt das nicht, dass er zu Ende ist. Der Bürgerkrieg ist noch immer da, und es ist unerlässlich, dass die internationale Gemeinschaft darüber Bescheid darüber weiß und, dass sie Einsatz zeigt. Letztendlich hat Libanon die syrischen Flüchtlinge aufgenommen und willkommen geheißen, aber wenn wir hören wie auf internationaler Ebene von der Wichtigkeit der Solidarität und Willkommenskultur gesprochen wird, wäre es nett, wenn sich diese Worte auch in konkreten Handlungen wiederspiegeln würden. Lasst uns Handlungen mit Worten verbinden. Wenn wir von Humanität sprechen, sollte das bedeuten, dass wir uns solidarisch verhalten anstelle zu sagen ‚Das ist nicht mein Problem – die Flüchtlinge sind nicht in meinem Land – daher sehe ich sie nicht.‘ Das ist nicht nur das Problem eines einzelnen Landes. So wie es Filippo Grandi, der Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sagte – es ist die größte humanitäre Flüchtlingskatastrophe unserer Zeit.  Wir befinden uns nun in einer Welt, wo es keine physischen Grenzen mehr gibt, wo Menschen sich von einem Land ins andere bewegen. Man kann daher nicht sagen, dass ein Problem nicht existiert, wenn es nicht bei mir zu Hause stattfindet, denn es wird sich auf internationaler Ebene auswirken. Seien wir realistisch – wenn wir von Humanität sprechen wollen, dann handelt bitte. Wir haben es eigentlich satt all diese Reden zu hören, denn diese Reden werden verwendet, wenn man gewählt werden will. Aber wir sind die, die vor Ort sind, und wir fühlen die Last des Problems und wir fordern Handlungen anstelle von Worten.

 

Caritas Österreich: Sie haben soeben die Probleme hinsichtlich der Finanzierung erwähnt – abgesehen davon, gibt es noch etwas anderes, wovon Sie profitieren könnten?

Ich glaube wir alle könnten davon profitieren, wenn man sich dafür einsetzt, dass der Krieg zu Ende geht. Und ich denke, jeder sollte sich dafür einsetzen. Wir alle wissen, dass wenn der Krieg morgen enden würde, es eine lange Phase des Wiederaufbaus geben würde. SyrerInnen würden wahrscheinlich nicht unmittelbar zurückkehren. Nichtsdestotrotz, lasst uns damit anfangen an friedlichen Lösungen zu arbeiten, so dass SyrerInnen zurückkehren können. Stellen Sie dich ein Kind vor, das in 2011 geboren wurde: Der Bürgerkrieg begann im März 2011. Jemand, der im April 2011 geboren wurde, ist nun acht Jahre alt, und hat Syrien nie gesehen, hat nie gewusst wer die Nachbarn waren, die Familie, die Traditionen, die Kultur . . . Das Leben findet entweder im Libanon oder in Jordanien statt und man wird von den dort vorherrschenden Kulturen geformt. Löschen wir eine wichtige Kultur der arabischen Länder aus? 

 

Caritas Österreich: Wie wird der UN Migrationspakt von den libanesischen Medien aufgenommen und bewertet? Wird er überhaupt thematisiert?

Wir leben mit 1.5 Millionen syrischen Flüchtlingen. Unser Hauptproblem ist, wie wir als LibanesInnen weiterhin im Libanon leben können und nicht, wie wir ins Ausland reisen oder dort leben können. Also das ist unser Hauptproblem zurzeit – syrische Flüchtlinge und ortsansässige Gemeinschaften zu unterstützen.

 

Caritas Österreich: Und in Bezug auf die generelle Situation – nicht nur hinsichtlich des syrischen Bürgerkrieges?

Wenn man inmitten vom Problem lebt, kann man an nichts anderes denken als an das Problem.

 

Caritas Österreich: Eine letzte Frage hinsichtlich der Agenda 2030 und die Ziele für nachhaltige Entwicklung: Welche Bedeutung haben diese für den Libanon nach Ihrer Meinung?

Der Libanon hat seinen ersten Bericht der freiwilligen nationalen Überprüfung dieses Jahr präsentiert und die libanesische Regierung hat aus allen Ministerien ein nationales Komitee geformt, aber auch die Zivilgesellschaft miteinbezogen. Die Caritas und andere Organisationen haben alle Akteure der Zivilgesellschaft repräsentiert. Wir waren außerdem dafür verantwortlich den Teil zu entwerfen, der sich auf die Zivilgesellschaft bezieht. Was wir gemacht haben ist, dass wir uns mit über 300 Akteuren beraten haben, die in den verschiedensten Regionen des Libanons arbeiten, und dann haben wir unseren eigenen Bericht geschrieben. Ich denke, dass es ein wunderschönes libanesisches Vorbild gibt, und die Tatsache, dass der Libanon den Akteuren der Zivilgesellschaft Raum gegeben hat. Ich war Teil der offiziellen Delegation, die in die USA gereist ist. Der Bericht der Zivilgesellschaft ist nicht verändert worden, nicht ein Wort. Was wir gesagt haben, wurde vollkommen respektiert. Wir haben offen ausgesprochen, was die libanesische Regierung gut macht, und was sie schlecht macht. Sogar während der Panel Diskussion wurde der Zivilgesellschaft ein Platz zugestanden. Wenn ich mir andere Staaten ansehe, fühl ich, dass die Zivilgesellschaft wichtig ist, aber dass es eine Grenze gibt. Wenn man sich den Libanon ansieht, kann man sehen, dass sie wichtig ist, aber auch, dass die Zivilgesellschaft bewiesen hat, wie wichtig sie ist. Denn während des Bürgerkrieges war es die Zivilgesellschaft die der Regierung geholfen hat Leistungen zu erbringen. Und das ist unsere Art Respekt zu zeigen als Teil  - als Teil des Berichts der freiwilligen nationalen Überprüfung. Und das ist sehr wichtig und sehr interessant.

 

In Hinblick auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung, denke ich, dass wenn man sie sich ansieht, dass alle Akteure der Zivilgesellschaft und NGOs, insbesondere in Ländern wie dem Libanon, genau das tun – ohne es zu betiteln. Wenn wir es aber so betiteln, geben wir dem eine Wichtigkeit und Bindung auf internationaler Ebene, dass wir uns auf nationaler Ebene darauf hinbewegen. Ob wir sie erfüllen werden oder nicht ist fraglich. Insbesondere da wir die Erfahrung mit den Millenniums-Entwicklungszielen gemacht haben. Aber sehen wir es zumindest positiv – zumindest gibt es hier eine Bindung auf internationaler Ebene, und es symbolisiert, wo wir gerne hin möchten, für was Budget und Ressourcen bereit gestellt werden, und für was wir uns einsetzen werden um diese Ziele hoffentlich zu erfüllen. Es gibt uns außerdem einen Rahmen für alle unsere Projekte, die wir in Zukunft umsetzen werden und ich denke, dass es es leichter macht sich zu verstehen, wenn auf internationaler Ebene mit denselben Begriffen darüber geredet wird.

 

(Dieses Interview wurde im Dezember 2018 in Wien geführt)