Am 20. Juni ist UN-Weltflüchtlingstag

Frauen, Männer und Kinder fliehen vor Verfolgung und Folter. Vor Kriegen und Tod. Vor Dürre und Hunger. Und wie reagieren Österreich und Europa? Mit Massenabschiebungen, mit Zelten, mit Planlosigkeit. Die Europäische Union mag Trägerin des Friedensnobelpreises sein. Ihr Umgang mit Flüchtlingen verdient diesen Preis nicht. Österreich hat zwar eine lange Tradition als gastfreundliches Land, die aktuellen Bilder und Aussagen spiegeln aber ein politisches Klima von Ignoranz und Ablehnung. Die Europäische Union unternimmt viel zu wenig für die Rettung von in Seenot geratenen Menschen. Denn weiterhin ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer.

 

Globale Flüchtlingskrise - Gemeinsam, solidarisch helfen

"Millionen Flüchtlinge sind zu einem Leben in Elend verdammt und Tausende bereits umgekommen. Die internationale Gemeinschaft versagt komplett. Wir müssen die Flüchtlingskrise als globales Problem behandeln, nur so ist sie zu lösen", sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. "Die verantwortlichen Politiker müssen endlich aufhören so zu tun, als wäre es nicht möglich, für diese Menschen Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam eine menschenwürdige Lösung zu finden."

Rund eine Million Flüchtlinge warten derzeit dringend auf Resettlement-Plätze in sicheren Ländern. Die Europäische Union hat bisher nur einen sehr geringen Prozentsatz an Flüchtlingen aufgenommen. Hier ist ein rasches Umdenken und Handeln gefragt. Daneben sind sichere und legale Wege für Flüchtlinge nach Europa das Gebot der Stunde. Jene, die es bis hierher geschafft haben, hatten Glück, die Flucht überhaupt zu überleben. Vergangenes Jahr starben rund 3.500 Menschen bei der Überfahrt, 2015 sind es bereits mindestens 1.865. Der dramatische Anstieg der Toten ist auch auf das Ende des Mare-Nostrum-Programms zurückzuführen, welches Ende 2014 von der stark eingeschränkten Triton-Mission abgelöst wurde.

Zum Vorschlag der Europäischen Kommission, einer langjährigen Forderung von Amnesty International entsprechend eine Quote für die Aufteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedstaaten einzuführen, sagt Heinz Patzelt: "Wenn aus der richtigen und notwendigen Idee, eine solidarische Verpflichtung aller Mitgliedstaaten einzufordern, ein lächerliches Feilschen um Prozentpunkte und eine abstrakte Formeldebatte wird, ist die nächste wichtige Chance vertan."

 

Aktionsplan Asyl - Vom Reagieren zum Agieren 

"Es ist zu erwarten, dass der Zustrom von asylsuchenden Menschen nicht abreißen wird", so Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes. "Österreich braucht jetzt eine mittel- und langfristige Strategie für die Bewältigung dieser Herausforderung. Wir fordern einen nationalen Aktionsplan Asyl, um vom kurzfristigen Reagieren ins Agieren zu kommen. Das Thema Asyl wird derzeit sehr emotional geführt und erzeugt Ängste in der Bevölkerung und bei politischen Entscheidungsträgern. Wenn wir unsere vielzitierten europäischen Werte glaubwürdig vertreten, dann ist die europäische und innerösterreichische Solidarität mit den verzweifelt schutzsuchenden Menschen aus Kriegsgebieten ein Gebot der Stunde."

 

Keine halben Kinder - Sachlichkeit statt Wahlkampfrhetorik 

"Es gilt den Sorgen in der Bevölkerung mit Information und Verständnis zu begegnen. Nur so sind gemeinsame menschliche Lösungen möglich. Wir brauchen zusätzliche Grundversorgungsplätze, mehr Personal für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, sowie dringend notwendige Integrationsmaßnahmen wie Deutschkurse", fordert auch Caritas Präsident Michael Landau einen nationalen Aktionsplan.

"Besonders dramatisch ist die Situation der mehr als 1.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, der Kinder und Jugendlichen im Großlager Traiskirchen. Diese Unterbringung im Massenlager widerspricht der UN Kinderrechtskonvention und damit internationalem Recht. Gerade diese Kinder sind auf besondere Betreuung und Schutz angewiesen. Ein Kind ist ein Kind, egal wo seine Wiege stand! Das heißt: gleiche Rechte, gleicher Schutz, gleiche Tagsätze, gleiche Aufmerksamkeit der Jugendwohlfahrt. Ich bleibe dabei: Es darf in Österreich keine halben Kinder geben", appelliert Landau.

"Mit der angekündigten Nichtbearbeitung von Asylanträgen wird niemandem geholfen. Für Schutzsuchende ist es eine Katastrophe, wenn sie zum Nichtstun verdammt werden, ohne Sprachkurse, ohne Qualifizierungsmaßnahmen, ohne Arbeitserlaubnis und ohne der Möglichkeit, die Familie in Sicherheit zu bringen", so Landau weiter. "Die politische Vision darf nicht lauten ‚Wie machen wir Österreich möglichst unattraktiv‘, sondern wie kann Europa und Österreich diese Aufgabe gemeinsam und entsprechend unserer humanitären Tradition bewältigen. Dafür müssen wir eine echte Willkommenskultur wiederbeleben, dafür braucht es Sachlichkeit statt Wahlkampfrhetorik. Bundeskanzler und Vizekanzler haben das Thema zur Chefsache erklärt und wollen das Gespräch suchen - ein guter Schritt, der zuversichtlich stimmt. Wir sind gesprächsbereit."

 

Tagsätze anpassen, Modellprojekt für private Unterbringung ausweiten

"Mit den Maßnahmen, die die Asylpolitik derzeit vorschlägt und umsetzt, ist deutlich, dass man immer nur bis zum nächsten Wochenende kommt. Es wird Zeit, dass parallel zu den Krisenmaßnahmen endlich strukturelle Veränderungen im Grundversorgungssystem eingeleitet werden, sonst bleiben wir in der Krise stecken und werden sie nicht lösen", betont Diakonie Direktor Michael Chalupka. "Wir haben heute erfahren, dass Kanzler und Vizekanzler sich nun der krisenhaften Situation annehmen. Das ist gut, denn wir haben lange darauf gewartet, dass die Politik die Vorschläge der NGOs ernst nimmt und mit uns bespricht". 

"Die NGOs haben u.a. vorgeschlagen, dass alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge von der Jugendhilfe betreut werden müssen. Wir haben vorgeschlagen, dass die Tagsätze für die Flüchtlingsunterbringung angepasst werden müssen. Und wir haben vorgeschlagen, dass Menschen, die noch im Asylverfahren sind, die Möglichkeit haben sollen, bei Privatpersonen zu wohnen. Das ist eine wirksame Möglichkeit, die ihr Ankommen in Österreich wesentlich erleichtert, und eine Annäherung zwischen Flüchtlingen und der österreichischen Bevölkerung schafft. Unsere Erfahrung ist, dass in vielen Gemeinden täglich Menschen auf Flüchtlinge zugehen, sie beim Lernen unterstützen oder bei sich wohnen lassen. Und darauf kommt es an", so Diakonie Direktor Michael Chalupka. 

"In Niederösterreich ist es derzeit möglich, Menschen direkt aus dem Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen heraus und noch während ihres Asylverfahrens in privaten Wohnungen unterzubringen. Es wäre gut diese Möglichkeit in allen Bundesländern flächendeckend zu schaffen, denn dieses Modellprojekt aus Niederösterreich könnte bundesweit wesentlich zur Entlastung des Grundversorgungssystems beitragen", betont Diakonie Direktor Michael Chalupka.

 

(Presseaussendung 17.6.2015)