Die vielen Gesichter von Idomeni

Caritas Helfer Jan war die vergangenen 12 Tage in Idomeni. Seine packenden Eindrücke hat er für uns niedergeschrieben.

Ich sitze in der Abflughalle am Flughafen Thessaloniki und versuche, meine Eindrücke von 12 intensiven Tagen in Idomeni einzuordnen. Es ist viel geschrieben worden in den vergangenen Wochen über die furchtbaren Bedingungen in dem Flüchtlingslager das, wenn es nach den Regierungen Europas ginge, keines sein sollte.

Meine KollegInnen und ich haben das alles ja hautnah vor Ort erlebt. Am schlimmsten war es während des Regens. Man geht an Zelten vorbei, in denen Familien zusammengekauert ein Ende des Dauerregens abwarten und hört Babys schreien, während einem der Rauch von den notdürftig vom Regen abgeschirmten Lagerfeuern in den Augen brennt.

Die Bilder von der gefährlichen Flussüberquerung der Flüchtlinge, bei dem Versuch durch ein Loch im Grenzzaun zu gelangen, gingen um die Welt. Die Frage, wer den Handzettel mit der Karte geschrieben und verteilt hat, ist für mich persönlich müßig. Im Angesicht dessen, dass diese Menschen in ihrer Verzweiflung bereit waren, ihre Leben einem Fetzen Papier anzuvertrauen. 

Aber das alles ist es gar nicht was mir gerade im Kopf herumgeht. Die Bilder die ich gerade vor Augen habe, sind von gestern, als ich mit meiner Kollegin Mihaela eine Brennholzlieferung koordiniert habe. Am 21. März, der für uns den Frühlingsbeginn einläutet, feierten die vielen Kurden in Idomeni das Neujahrsfest. Trotz der widrigen Umstände hatte man den Eindruck als ob die Menschen vor Ort sich in stillem Einverständnis entschieden hätten, die Begleitumstände einmal auszublenden und sich den Nachmittag frei zu nehmen von der bedrückenden Sorge um ihre Zukunft. Immerhin gibt es inzwischen vor Ort so etwas wie eine Gemeinschaft, nachdem viele der Menschen bereits seit zwei, drei oder vier Wochen vor Ort ausharren. Man kennt sich – und uns. 

Viele Flüchtlinge verbinden unsere Caritas Jacken inzwischen mit Brennholzlieferungen und uns wird sehr oft zugelächelt. Überhaupt blicke ich in so viele freundliche und dankbare Gesichter, auch wenn wir auf die drängendste Frage der Flüchtlinge, wann sie endlich weiterkönnen, keine Antwort geben können.

Ab morgen soll es wieder regnen, aber gestern hat der Frühling zumindest tagsüber schon einmal gezeigt was er kann: Die tiefstehende Nachmittagssonne hatte das gesamte Areal in ein beruhigendes Licht mit langen Schatten getaucht und überall saßen und standen die Menschen zusammen und haben gemeinsam gesungen, geklatscht und gelacht.

Die vielen Freiwilligen, die seit Wochen ihr Bestes geben um den Menschen vor Ort zu helfen, wurden eingeladen mitzutanzen und haben das Angebot bereitwillig angenommen. Kinder spielten auf den Feldern Fußball und ein Flüchtling hatte sogar Jonglierbälle dabei um seine Fingerfertigkeit zu demonstrieren. Die Atmosphäre war für diesen kurzen Nachmittag so liebevoll und einladend, dass auch wir nicht anders konnten als uns zu den Menschen dazuzusetzen und trotz sprachlicher Barrieren an diesem urmenschlichsten Gefühl von Gemeinschaft und Musik teilzuhaben. 

Was wir manchmal zu vergessen scheinen ist, dass es sich hier um Menschen handelt die unabhängig von Herkunft und Religion genauso fühlen, leben und lieben wie wir alle. Keiner, der diesen Nachmittag miterlebt hat, könnte sich danach ernsthaft vor diesen Menschen fürchten.

Dennoch, noch während ich diese Zeilen schreibe erreicht mich die Nachricht von Protesten im Camp und dass sich Hilfsorganisationen zur Sicherheit fürs erste zurückgezogen haben. 

Behandle Menschen als solche und sie werden sich so verhalten. Unter den gegebenen Umständen kann sich jedoch keiner darüber wundern, dass die Menschen in Idomeni sich mit diesen menschenunwürdigen Bedingungen nicht abfinden wollen und werden.