Welttag der Armen: "Nicht Armutsbetroffene bekämpfen, sondern die Armut"

Landau, Küberl und Schüller ermahnen zum ersten kirchlichen "Welttag der Armen" die künftige Regierung zum Blick auf die Schwächsten und zum Einsatz für weltweite Gerechtigkeit

Für viel Aufsehen hat ein gemeinsamer Aufruf von drei österreichischen Caritas-Präsidenten zum ersten kirchlichen "Welttag der Armen" gesorgt. Österreichs künftige Bundesregierung müsse sich energisch für ein Ende der Steueroasen sowie für die Weiterentwicklung des Sozialstaates einsetzen, mahnten Michael Landau und seine beiden Vorgänger Franz Küberl und Helmut Schüller am Freitag in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Zukunftsfähig sei die Gesellschaft dann, wenn sie "die Schwächsten nicht vergisst", weshalb die neue Regierung dem Land eine "Mut-Injektion zum Guten" geben müsse, so der Tenor. Der erstmalige gemeinsame Auftritt fand in den Räumlichkeiten einer Lebensmittel-Ausgabestelle im 15. Wiener Gemeindebezirk statt.

 

Steuerflucht kein Kavaliersdelikt

Papst Franziskus habe bei seiner Ausrufung des kirchlichen Welttags der Armen (19. November) den bestmöglichen Zeitpunkt ausgesucht, befand Michael Landau. Monate nach seiner heftigen Kritik im Juni 2017 an jenem Reichtum, der auf Illegalität und Ausbeutung der Menschenwürde beruht, hätten nun die "Paradise Papers" dem Kirchenoberhaupt recht gegeben: 7,9 Billionen Euro seien weltweit in Steuersümpfen geparkt. "Allein in Österreich wären die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer ohne Steuerflucht um 13 Prozent höher", verwies Landau auf den Wirtschaftsforscher Gabriel Zucman. Auch davon müsse am Welttag der Armen die Rede sein.

Landau sprach weiter von einem "handfesten Skandal": "Unsere Politiker warnen seit Monaten vor angeblicher Einwanderung in das Sozialsystem und billigen zugleich das Auswandern und die Flucht in Steueroasen. Wenn arme Menschen auf Mindestsicherung angewiesen sind, zeigt man schnell mit dem Finger hin und spricht von Sozialmissbrauch. Wenn vermögende Menschen und große Konzerne keine Steuer zahlen wollen, spricht man beschönigend von Steueroptimierung. Das eine ist strafbar, das andere legal oder allenfalls ein Kavaliersdelikt. Das ist nicht gerecht." Österreich müsse sich bei seinem EU-Ratsvorsitz 2018 für eine Schließung der Steueroasen einsetzen, forderte Landau. "Wer keine Abgaben in Europa zahlt, soll in Europa keine Geschäfte machen dürfen."

 

Einheitliche Mindestsicherung statt Sozialdumping

Weiters pochte Landau auf den Ausbau des Sozialstaates. Die im Wahlkampf oft thematisierte Sicherheitspolitik müsse breiter verstanden werden und auch die soziale Sicherheit umfassen, da diese für den sozialen Frieden notwendig sei. Dazu gehöre konkret: Armut statt Arme bekämpfen, "statt Sozialdumping eine einheitliche Mindestsicherung, die an den Nöten der Menschen Maß nimmt, Wohnbeihilfen und ein neues Mietrecht "denn die Themen Heizung, Energie und Wohnen haben die Mittelschicht erreicht", Entlastung geringer Einkommen und "Sicherstellung, dass Menschen wieder von ihrer Arbeit leben können", sowie beim Thema Pflege die Aufstockung des Pflegegeldes, der mobilen Dienste, der Hospiz- und Palliativversorgung sowie der Angebote für Angehörige. 

 

Gerechte Handelsverträge 

Direkte Kritik am künftigen Regierungschef übte Landaus Vorgänger Franz Küberl. Sebastian Kurz hatte am Wahlabend den würdevollen Umgang der künftigen Regierung und des Parlaments miteinander als Ziel angegeben. "Ja - selbstverständlich. Aber er hat den Satz zu früh abgebrochen. Es geht darum, dass die Regierung mit allen Menschen respekt- und würdevoll umgeht", betonte der frühere Caritaschef. Auch die Globalisierungsverlierer in die Zukunft mitzunehmen, sei "die löblichste Aufgabe einer Regierung".

Küberl rief die künftige Bundesregierung zudem auf, die "Gestaltungskapazität" in Handelsverträgen besser zu nutzen: "Wäre es nicht an der Zeit daran zu denken, auch Vorteile Dritter zu suchen, gegen Landgrabbing zu sein, sich dafür einzusetzen, dass sich Unternehmungen, die in Staaten des Süden tätig sind, nicht an Koprruption beteiligen, saubere Gehälter zahlen, geschürfte Rohstoffe vor Ort begleichen und mithelfen, dass Infrastruktur in diesen Ländern entsteht." Würde zudem auf alles Kriegsmaterial 25 Prozent Quellensteuer eingehoben, könnten damit - bei einem Produktionsvolumen von 400 Milliarden US-Dollar - Flüchtlingslager und die Linderung der Not von Kriegsvertriebener finanziert werden "und man müsste nicht von Staat zu Staat betteln können, ob überhaupt jemand etwas tun will." Nicht vergessen dürfe man, dass schließlich ein guter Teil des Wohlstandes in Österreich "auf Armut und dem Elend von Abermillionen" stehe.

 

Küberl: Neues Sozialwort nötig

Auch die katholische Kirche nahm der frühere Caritas-Präsident in die Pflicht. Der letzte Sozialhirtenbrief habe enorme sozialpolitische Gestaltungskapazität gehabt, datiere jedoch bereits auf das Jahr 1990 zurück. "Ich lade als Sozialhelfer in Pension alle österreichischen Bischöfe dazu ein, den nächsten Sozialhirtenbrief zu schreiben. Es würde mithelfen, dass die Kapazität und Kompetenz des kirchlichen Gläubigen noch deutlicher, spürbarer und greifbarer werden könnte." Rückenwind dazu gäbe es von oberster Stelle ohnehin, fordere Papst Franziskus von der Kirche Nahestehenden doch ein, selbst ein "Feldlazarett" zu sein. "Wir müssen dort hingehen, wo es zwickt", so Küberl. 

 

Schüller: Untergrenzen nicht unterschreiten

Auf die Flüchtlingsdebatte verwies Helmut Schüller. Andere nicht im Stich zu lassen sei "das edelste Stück unseres Menschseins", und Papst Franziskus ermuntere alle Gläubigen zu Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Respekt vor der Menschenwürde und Achtung. "Das sind Werte, die für uns wie Stehsätze klingen, die wir aber in Europa bald nicht einmal mehr buchstabieren können", so der frühere Caritaschef. Das Problem sei: "Wir diskutieren ständig über Obergrenzen, merken dabei aber nicht, dass wir gleichzeitig Untergrenzen unterschreiten."

Völlig falsch sei es zudem, Solidarität und Hilfe für Notleidende als milde Gabe zu sehen. Jeder sei potenziell arm und könne in Problemlagen geraten. "Ein einfaches Schlagerl, ein Ausfall von drei, vier Monatsgehältern - und schon bist du dieser Situation selbst verdammt nahe", betonte Schüller. Wer alles daran setze, "den Sozialstaat weiterhin 'Slim Fit' zu machen, sägt damit auch an seinem eigenen Ast". Das soziale Netz sei eine wichtige Errungenschaft, dabei jedoch "keine Hängematte, sondern ein Auffangnetz".

 

Anlass der Pressekonferenz war der "Welttag der Armen", der in diesem Jahr erstmals durchgeführt wird und in Österreich mit dem bereits in vielen Diözesen bestehenden "Elisabeth-Sonntag" zusammenfällt. In allen Pfarren wird dabei für den Einsatz der Caritas für Armutsbetroffene im Inland gesammelt

In Österreich ist jeder siebte Mensch - insgesamt knapp 1,2 Millionen Menschen - arm oder akut armutsgefährdet. 410.000 Männer, Frauen und Kinder gelten als manifest arm.

 

(Kathpress, 17.11.2017)

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