Afrikanische Frauen in Kenia

© Caritas

Wie funktioniert eine Essensverteilung für 5.000 Menschen? Bericht aus Kenia

Eine Nahrungsmittelverteilung für mehrere tausend Menschen während einer Hungersnot ist eine Herausforderung auf viele Ebenen. Woher bekommt man die Lebensmittel? Wer bekommt die ersten Pakete? Und wie können humanitäre HelferInnen effektive und effiziente Hilfe leisten? Ein Bericht aus Kenia von unserem Auslandshelfer Raphael Thurn gibt Antworten auf diese Fragen.

Von Raphael Thurn. Dieser Beitrag ist Teil des Blogs "Hautnah am Hunger".

 

Das erste, was mir bei meinen Einsätzen im Norden Kenias auffiel, war die Stille in den entlegenen Dörfern. Eine sehr unübliche Erfahrung für das ländliche Afrika. Oft wird man in Dörfern von Kinderscharen begrüßt, die Neuankömmlinge neugierig umkreisen und lachend mustern. Aber nicht in der Region North Horr im Bundesstaat Marsabit, hier zeigt sich ein anderes Bild. Nur langsam kommen die Vertreter der Ältestenräte auf einen zu, um freundliche aber sehr bedächtige Willkommensworte auszutauschen. Wo sind die Kinder? Ihre quirlige Lebensenergie ist den Dörfern bereits abhandengekommen. Meine mehrjährigen Einsätze in Afrika haben mich noch nie in ein Hungergebiet geführt und die hier gewonnenen Eindrücke werden mich noch lange begleiten.

Lebensmittelverteilung in Kenia

Nothilfe vor Ort

Die extreme Hungersnot in North Horr im Norden Kenias verlangt effiziente Arbeit mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln. Mehr dazu im Video.

Die Folgen der Dürre sind fatal

Die Folgen der anhaltenden Dürre machen das bereits unter normalen Bedingungen karge, aber auf seine Weise beeindruckende Leben der Viehhirten im Norden Kenias zurzeit unerträglich. Ihre Schafe, Ziegen und Kamele sind bereits in großer Zahl verendet. Die Weideflächen sind weitgehend verschwunden und die Wege zu den nächstgelegenen Wasserstellen verlängern sich zunehmend. Mit dem Sterben der Tiere verlieren die Nomaden ihre Lebensgrundlage und damit auch ihre Hoffnung. Die nächste Regenzeit wird im Oktober erwartet, falls sie tatsächlich kommt. Den Menschen ist ihre Verzweiflung deutlich ins Gesicht geschrieben.

Essensverteilung in Nordkenia
Hilfe für 4.800 Menschen

Wir als Caritas Österreich sind in der Hilfe vor Ort immer nur so stark wie unsere Partnerorganisationen. Sinnvolle Hilfe funktioniert nur, wenn sie regional implementiert wird.

Bei der Verteilung: Es wird das verteilt, was auch gebraucht wird.

Die Essensverteilungen sind perfekt durchgeplant und die Bedürftigen wissen lange im Voraus davon.

Caritas Präsident Michael Landau und Auslandshilfechef Christoph Schweifer mit Vertretern der Hilfsorganisation PACIDA

Erfolgreiche Nothilfe braucht starke lokale Partner

In den letzten fünf Monaten durfte ich bereits dreimal in der Region mitwirken, um Wasser- und Nahrungsmittelverteilungen zu koordinieren. In Marsabit setzt die Caritas Österreich ihre Nothilfeprojekte mit ihrem langjährigen und erfahrenen Partner PACIDA um. Die lokale Nichtregierungsorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen der Nomaden zu verbessern. Dabei arbeiten wir als Caritas Österreich schon seit 2008 mit PACIDA zusammen und waren der erste internationale Partner der Organisation. Seither sind nachhaltige Strukturen entstanden. Heute ist PACIDA eine der größten Nichtregierungsorganisationen der Region und implementiert etliche Projekte sowohl in der Nothilfe als auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Mitarbeiter der Organisation setzen sich aus allen lokalen Ethnien zusammen und sind auch ein religiös gemischtes Team. Muslime wie Christen stehen Schulter an Schulter, um der eigenen notleidenden Bevölkerung zu helfen. Caritas Österreich hat mit PACIDA einen starken Partner in der humanitären Hilfe an seiner Seite.

Um die richtigen Mittel zu finden, sind im Vorfeld von Verteilungen Gespräche mit Ältestenräten und Frauengruppe nötig. So können wir herausfinden, was benötigt wird. © Caritas

Drei wichtige Schritte zum Erfolg einer Nahrungsmittelverteilung

Diese idealen lokalen Voraussetzungen führen dazu, dass die spendenfinanzierten Wasser- und Nahrungsmittelverteilungen der Caritas effektiv und effizient durchgeführt werden können. Aber es gibt in der Nothilfe vieles zu beachten, um den Erfolg der Projekte sicherzustellen:

 

1. Koordination

Ein entscheidender Faktor ist die Koordination der Nothilfe durch eine übergeordnete Instanz. In Marsabit übernimmt, aufgrund noch fehlender UN-Strukturen, die ‚County Steering Group’ der lokalen Regionalverwaltung diese Aufgabe. Regelmäßige Treffen stellen sicher, dass die notleidende Bevölkerung von der nationalen und internationalen Hilfe möglichst gleichmäßig profitiert und die am stärksten betroffenen Gebiete zu allererst bedacht werden. Die Caritas Österreich ist durch PACIDA ständiges Mitglied in diesem Gremium.

Die Bedürftigen werden in Verteillisten eingetragen. Sie bestätigen diese meist mit Fingerabdrücken.

2. Einkauf: „Do No Harm“ – Warum wir nur lokal einkaufen

Der Einkauf ist das nächste wichtige Thema. Der sogenannte 'Do No Harm'-Ansatz hält Hilfsorganisationen dazu an, in den betroffenen Ländern vor Ort einzukaufen, um damit die lokale Wirtschaft in Zeiten der Krise zu stützen und die lokale Produktion zu stärken.

 

In anderen Gebieten Kenias gibt es noch Nahrungsmittel

Kenia ist ein großes Land mit mehreren Klimazonen. Die Nahrungsmittelproduktion ist noch nicht landesweit zusammengebrochen. In den nördlichen Regionen herrscht zwar Dürre, aber in den südlichen und westlichen Regionen wird noch produziert. Erst wenn es zu landesweiten Nahrungsmittelengpässen kommt, was jederzeit an den nationalen Marktpreisen von Lebensmitteln ablesbar ist, werden Importe von internationalen Hilfsakteuren angedacht. Im Fall Kenias lassen sich noch Lebensmittel zu guten Konditionen erwerben.

 

Billigster Einkauf bei gleicher Qualität

Für jeden Einkauf werden zumindest drei Angebote von lokalen Händlern eingeholt. Der günstigste Anbieter bei gleicher Qualität bekommt den Zuschlag. Damit wird sichergestellt, dass eine höchst mögliche Anzahl von Betroffenen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln versorgt werden kann.

Bei einer Lebensmittelverteilung

3. Logistik: So läuft eine Nahrungsmittelverteilung ab

Die Lieferungen erfolgen entweder durch den Anbieter selbst oder durch unseren lokalen Partner, abhängig von der Erreichbarkeit der Dörfer und von Überlegungen zur Kosteneffizienz des Transports. Nahrungsmittelverteilungen sind eine logistische Herausforderung, die guter Planung bedarf.

 

Wer bekommt überhaupt Nahrungsmittel und wie finden wir heraus, wer sie benötigt?

Bevor wir Nahrungsmittel kaufen und in ein betroffenes Dorf liefern, finden mehrere Treffen mit den Ältestenräten statt. Wir legen offen, wie viele Hilfsgelder für das Dorf zur Verfügung stehen und legen im Gespräch die mögliche Zusammensetzung der Lebensmittelpakete fest. Bei diesen Treffen sind auch Frauengruppen präsent und VertreterInnen von besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen. Im Anschluss werden so genannte "Profiling Listen" erarbeitet, die dem Prinzip der Bedürftigkeit verpflichtet sind. Unser Partner PACIDA informiert alle begünstigten Haushalte über den Termin der Lieferung . Die Betroffenen müssen die Listen gegenzeichnen oder mit Finderabdruck bestätigen. Auf Grundlage dieser Listen erstellen wir schließlich deckungsgleiche Verteilungslisten.

 

Der Tag der Verteilung

Am Tag der Verteilungen lesen wir die Namen der Dorfbewohner vor, die Aufgerufenen treten hervor, zeichnen die Verteilungslisten erneut gegen, und nehmen dann die Lebensmittelpakete in Empfang.  Solche Verteilungen in North Horr in der Region Marsabit können mehrere Stunden dauern und Dörfer mit bis zu 800 Haushalten umfassen, was einer Hilfeleistung für etwa 4.800 Menschen entspricht. Die Dörfer in der Region sind aber oft kleiner und umfassen eher 200 bis 300 Haushalte. Mit einer so detaillierten Vorgehensweise stellen wir sicher, dass alle Dorfbewohner gut informiert sind, dass sie die Pakete selbst in Empfang nehmen können und die Prozesse transparent ablaufen, um mögliche Verteilungskonflikte zu vermeiden.

Verteilungen für die Schwächsten
Wer am meisten leidet

Der Eingriff der internationalen Gemeinschaft lässt trotz der tristen Lage noch auf sich warten.

Kinder und ältere Menschen leiden am meisten unter der Dürre.

Besonders Vertreterinnen von Frauengruppen werden in die Entscheidungen miteinbezogen.

Verantwortung der internationalen Gemeinschaft

In den letzten Monaten haben wir in der Region Marsabit  Nothilfeprojekte wie solche Verteilungen im Umfang von bisher 320.000 Euro durchgeführt. Wir haben damit 5.000 Haushalte, etwa 30.000 Menschen, mit Lebensmitteln und Wasser versorgen können und damit überlebenswichtige Hilfe geleistet. Das ist ein großer Erfolg. Trotzdem werden die derzeit existierenden Mittel eine weitere Zuspitzung der Situation nicht verhindern, es sind einfach zu viele Menschen betroffen.

Es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft das Ausmaß des humanitären Notstands in Ostafrika erkennt und weitere Maßnahmen ergreift. In diesem Moment sterben Menschen an akuter Unterernährung und ihren Folgen, auch in Marsabit.

Porträtfoto Raphael Thurn in Kenia
Über den Autor – Raphael Thurn

Raphael Thurn aus Zwettl ist Nothilfekoordinator der Caritas Österreich. Studium in  Heidelberg und Marburg. Bisherige Einsätze in der Humanitären Hilfe: Welthungerhilfe…

© JWeismann

Über diesen Blog

Im Blog "Für eine Zukunft ohne Hunger" erzählen Caritas-HelferInnen von vor Ort. Was haben sie gesehen? Warum wird Hilfe benötigt? Und wie wird geholfen?

ein kleines Kind hockt barfuß in einer ausgetrockneten Landschaft, welche bis zum Horizont von Dürre gezeichnet ist
Für eine Zukunft ohne Hunger

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