Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich, steht vor einer Fensterfront

Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich

Caritas zum Weltfrauentag: Multiple Krisen erfordern strukturelle Unterstützung für Frauen

Caritas Generalsekretärin Anna Parr: „Frauen müssen raus aus dem „Gender-Care-Gap“

Nach der Corona-Pandemie die Teuerungswelle – und kein Ende in Sicht. Die multiplen Krisen bringen viel zu viele Menschen in Österreich massiv unter Druck. Besonders belastet sind dabei Frauen.

Generalsekretärin Anna Parr: „Die Not in Österreich nimmt zu. Und die Not in Österreich ist weiblich. Daran ändert auch das Jahr 2023 und die vermeintliche Gleichstellung nichts. In unseren 71 Sozialberatungsstellen in ganz Österreich sehen wir, dass die größten Problemlagen in der aktuellen Teuerungswelle Frauen treffen, allen voran Alleinerziehende, Mehrkindfamilien und Mindestpensionistinnen. Klar, dass es daher seitens der Politik eine Lösung zielgerichtet für Frauen braucht: einen Sozialstaat, der Frauen spezifisch unterstützt und entlastet.“

Hohe Armutsgefährdung für Frauen in Österreich

526.000 Frauen (ab 18 Jahren) waren in Österreich im Jahr 2021 armutsgefährdet. Aktuellere Zahlen werden die EU_SILC Zahlen im April 2023 liefern. Eines wird gleichbleiben: Das Risiko, in Armut abzurutschen, ist für Frauen im Vergleich zu Männern erhöht. Das höchste Armutsrisiko aller Haushaltstypen tragen mit 36% Alleinerziehende, und das sind fast ausschließlich Frauen mit Kindern.

Parr: „Diese Zahlen spiegeln sich auch in unseren Einrichtungen wider. Zwei Drittel der Klient*innen sind Frauen, davon ein Drittel alleinerziehend. Die massiv steigenden Kosten bei Energie, Wohnen, Lebensmitteln bringen viele Frauen an den Rand der Armut. Wir treffen tagtäglich Frauen, die sich zwischen Heizen und Essen entscheiden müssen – und verzweifeln an der Unmöglichkeit, ihren Kindern den Schulausflug, Nachhilfe oder ein kleines Geburtstagsgeschenk zu ermöglichen.“

Die Gründe für Frauenarmut sind vielfältig: schlechtere Bezahlung in frauendominierten Branchen wie dem Dienstleistungsbereich, hohe Teilzeitbeschäftigung sowie das Tragen der Hauptlast der Betreuung und Pflege von Kindern und nahen Angehörigen. Niedrigere Erwerbseinkommen und Lücken in der Erwerbsbiographie bewirken niedrige Pensionszahlungen und erklären eine aktuelle Pensionslücke von 41,6% in Österreich und eine besonders hohe Zahl an Frauen in Altersarmut.

Frauen müssen sich wieder auf den Sozialstaat verlassen können

Parr: „Der Sozialstaat in Österreich ist ein hohes Gut, aber durch die multiplen Krisen unserer Zeit werden große Risse und Lücken sichtbar. Viele soziale Rechte etwa sind an den Erwerbsstatus gekoppelt. Dies führt zu einer Benachteiligung – vielfach von Frauen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen sich aber alle Menschen auf den Sozialstaat verlassen können.“

Die Forderungen an die Politik sind für Caritas Generalsekretärin Parr klar: „Es braucht armutsfeste Sozialleistungen – für Frauen und Männer. Lang ausstehend ist die grundlegende Reform der Sozialhilfe als letztes Auffangnetz für alle Menschen in Österreich sowie die Erhöhung der Mindestpension zumindest auf die Armutsgefährdungsschwelle. Zudem brauchen wir eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes inkl. der Familienzuschläge und der Notstandshilfe auf das aktuelle Preisniveau, gerade die Notstandshilfe wurde nicht an die Inflation angepasst und haltet in ihrer Höhe den heutigen finanziellen Belastungen aufgrund der Teuerung nicht mehr Stand. Nur wenn eine Arbeitsmarktreform mit sozialer Handschrift gelingt, können nachhaltig Armutssituationen von Frauen und ihren Kindern verhindert werden und ein Leben in Würde und mit Zukunftschancen ermöglicht werden.“

Politik ist gefordert: Vollzeit erfordert strukturelle Rahmenbedingungen

Das beste Mittel gegen Armut bzw. zur Vorbeugung von Altersarmut ist die Erwerbsarbeit. Um Frauen aber gleichgestellt in den Erwerbsprozess zu integrieren, braucht es strukturelle Veränderungen und bessere Rahmenbedingungen.

Parr: „Die Politik sieht das Problem des Arbeitskräftemangels und der vielfach weiblichen Teilzeitarbeit, und behebt gleichzeitig die Wurzel des Problems nicht. Es braucht endlich ein flächendeckendes leistbares Kinderbetreuungsangebot und einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Erst wenn das vorhanden ist, können Frauen einer Beschäftigung nachgehen bzw. ihre Teilzeitarbeit ausweiten. Zweitens braucht es die Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen in systemrelevanten Berufen. Denn aktuell reicht in vielen Jobs im Handel oder Dienstleistungssektor das Einkommen auch bei Vollzeit nicht für ein unabhängiges Leben. Drittens braucht es gezielte Förderinstrumente für Frauen für den Wiedereinstieg sowie die Weiterqualifizierung.

Faktum in Österreich ist nach wie vor: Teilzeitbeschäftigung ist weiblich. 2021 waren 79% der Teilzeitbeschäftigten Frauen. Knapp die Hälfte der Frauen in Österreich arbeitet Teilzeit, im Vergleich zu 11,6% der Männer. In der Altersgruppe von 30 bis 44 Jahren nannten 69 % der Frauen (13,7 % der Männer) Betreuungspflichten als wichtigsten Grund für ihre Teilzeitbeschäftigung.

Parr: „Es wird immer wieder ins Treffen geführt, dass sich viele Frauen bewusst für die Teilzeit und damit für Kinderbetreuung entscheiden. In der Diskussion viel zu sehr unbeachtet bleibt die unfreiwillige Teilzeit von Frauen – und genau hier braucht es Antworten und Lösungen. Es muss gesellschaftlich „normal“ werden, dass sich Frauen und Männer Betreuungspflichten für Kinder und auch Care-Arbeit gleichermaßen aufteilen. Aktuell haben wir eine Situation des „gender-pay-gap“, aber auch des „gender-care-gap“. Gemeinsames Ziel muss ein 50:50 bei der Care-Arbeit sein. Um dies zu erreichen, braucht es ein soziales Gesamtkonzept, v.a. aber auch Akzeptanz in der Gesellschaft, bei Arbeitgeber*innen und auch eine strukturelle Förderung und Maßnahmen speziell für Frauen. Nur dann wird sich für Frauen nachhaltig etwas verändern.