Parr: „Ein ganzheitliches Modell wirkt präventiv für alle Kinder in Ö, umfasst finanzielle Unterstützung und den Ausbau öffentlicher Leistungen in Freizeit, Bildung und Gesundheit.“
Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich sagt nach dem Gipfel mit NGOs und Wissenschaft im Sozialministerium zum Thema Kindergrundsicherung: „Angesichts der zuletzt wieder stark steigenden Kinderarmutszahlen bin ich Bundesminister Rauch dankbar, dass er dieses Treffen initiiert hat und damit weiter an seinen Bemühungen arbeitet, eine Kindergrundsicherung einzuführen.“ Die Zahl an Kindern, die von absoluter Armut betroffen sind, hat sich in nur einem Jahr verdoppelt, so Parr: „Kinderarmut war bereits zuvor ein Thema. Pandemie und Teuerungskrise haben die Situation nun aber dramatisch verschärft. 20% der Kinder und Jugendlichen in Österreich waren 2023 armutsgefährdet, 88.000 von absoluter Armut betroffen. Hier gegenzusteuern ist alternativlos. Es geht um gleiche Chancen und ein gutes Leben für alle Kinder in Österreich!“
Kindergrundsicherung: Ausbau von öffentlichen Leistungen ebenso wichtig wie materielle Grundsicherung
Parr sieht die Etablierung eines ganzheitlichen Modells der Kindergrundsicherung als bestes Mittel, um allen Kindern in Österreich gleiche Chancen und Perspektiven zu geben und so Armut präventiv zu bekämpfen: „Grundsätzlich sollen alle Kinder und Jugendlichen in Österreich von einer Kindergrundsicherung profitieren. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Kindergrundsicherung nicht nur finanzielle Aspekte regelt und weiterentwickelt, sondern auch den Ausbau von allen öffentlichen Leistungen in den Bereichen Freizeit, Bildung und Gesundheit mitberücksichtigt.“ Dazu appelliert Parr an alle Verantwortlichen in Bund und Ländern, an einem Strang zu ziehen.
Ein ganzheitliches Modell der Kindergrundsicherung umfasst drei Bereiche:
1. Bildung und Freizeit
„Bildung ist das beste Mittel, um die Armutsspirale zu durchbrechen“, sagt Parr. Für gleiche Chancen im Bildungsbereich fordert die Caritas eine Garantie auf kostenfreie Bildung ab dem ersten Geburtstag, die Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres sowie den Ausbau ganzheitlicher und ganztägiger Schulformen – auch für Kinder mit Behinderungen in Form von inklusiven Bildungsangeboten.
Zudem braucht es auch einen österreichweiten Zugang zu kostenlosen Freizeit- und Ferienangeboten, so Parr: „Armutsbetroffene Kinder haben oft so gut wie gar keinen Zugang zu Kultur und Sport. Ebenso wenig können es sich ihre Eltern leisten, teure Nachhilfestunden zu finanzieren. Wenn alle Kinder die gleichen Chancen haben sollen, müssen sowohl kostenlose Freizeit- und Ferienangebote als auch kostenlosen Förderungsmaßnahmen und außerschulische Lernangebote massiv ausgebaut werden.“
2. Gesundheit und Gesundheitskompetenz
Einen Ausbau fordert die Caritas auch im Bereich der Gesundheitsangebote. Parr: „Im ambulanten und niedergelassenen Bereich gibt es aktuell viel zu wenig kostenfreie Angebote.“ Speziell fordert Parr einen Ausbau von kassenfinanzierten psychotherapeutischen und psychiatrischen Angeboten sowie kostenloser Präventionsangebote zur körperlichen und psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche. Zusätzlich braucht es einen bundesweiten Ausbau von Schulpsychologie und Schulsozialarbeit, so Parr: „Um der physischen und psychischen Gesundheit auch im Schulkontext den notwendigen Stellenwert einzuräumen, wäre eine Etablierung von Schulgesundheitskompetenzzentren sinnvoll.“
3. Finanzielle Leistungen
Zur finanziellen Grundabsicherung unterstützt die Caritas den heute diskutierten Vorschlag eines einkommensunabhängigen Grundbetrags für alle Kinder und Jugendlichen, und zusätzlich einen einkommens- oder situationsabhängigen Betrag für die Unterstützung jener Familien, die besonders niedrige Einkommen haben. Parr: „Analog zur Familienbeihilfe soll der Grundbetrag automatisiert ausbezahlt werden und je nach Alter der Kinder und Jugendlichen steigen und jährlich indexiert werden. Die Höhe des einkommensabhängigen Betrags sollte sich an den realen Kosten orientieren, die Familien zu stemmen haben, eine Basis dafür können die Referenzbudgets sein. Wichtig ist hier etwa auch, den Mehrbedarf von Alleinerziehenden zu berücksichtigen. So schaffen wir es, Kindern und Familien, die akut von Armut betroffen sind, unter die Arme zu greifen“. Die Prüfung und Auszahlung sollte automatisiert erfolgen, in Ausnahmefällen sollte ein unterjähriger Antrag möglich sein.
Schwerpunkt auf Ausbau von kindebezogenen Infrastrukturleistungen
Abschließend streicht Parr die Dringlichkeit des Themas hervor: „In all unseren Einrichtungen sehen wir: Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben von Geburt an in allen Lebensbereichen enorme Nachteile gegenüber Kindern aus nicht-armutsbetroffenen Familien. Und Fakt ist: In ganz vielen Fällen können sie diese Startschwierigkeiten niemals überwinden und sind dann auch im Erwachsenenleben von Armut betroffen. Mit der Einführung einer ganzheitlichen Kindergrundsicherung könnten wir präventiv handeln, den Teufelskreis Armut durchbrechen und gleiche Chancen für alle Kinder in Österreich schaffen!“