Vortrag

Kein Friede um jeden Preis: Über Konflikt und Einheit

- Wolfgang Palaver


Konflikte prägen sowohl die menschlichen Beziehungen im Kleinen als auch auf internationaler Ebene. Sie gehören zum menschlichen Leben, tragen zu Kreativität und Fortschritt bei, können aber auch eskalieren und letztlich in den Abgrund gegenseitiger Zerstörung führen. Häufig wird angenommen, dass unterschiedliche Interessen und Ansichten Hauptursache von Konflikten sind. Schriftsteller wie Shakespeare oder Goethe wussten es besser. Sie zeigen uns, dass Konflikte häufig gerade dann ausbrechen, wenn Nähe und gleiche Interessen vorhanden sind. Der Kulturanthropologe René Girard erklärt dieses seltsame Phänomen mittels des nachahmenden Begehrens und nennt deshalb auch die Geschwisterrivalität als eine bedeutende Konfliktursache.

Konflikte können leicht eskalieren und in eine Gewaltspirale münden. Für den österreichischen Konfliktforscher Friedrich Hacker ist Gewalt ansteckender als die Pest. Häufig zeigt sich in eskalierenden Konflikten auch, dass die umkämpften Objekte sehr schnell aus dem Blick geraten und allein die Feindschaft zwischen den Gegnern das weitere Verhalten bestimmt.

Folgt aus der Eskalationsgefahr, dass Konflikte um jeden Preis vermieden werden sollen? Das würde nur zum Beziehungsstillstand und einer lähmenden Friedhofsruhe führen. Weil gerade Christ*innen oft zur Konfliktscheue neigen, warnt Papst Franziskus vor dem Ausweichen vor Konflikten. Ein gefährlicher Graben ist die „falschen Friedfertigkeit“, die „Haltung des ‚Friedens um jeden Preis‘, in dem es um die Vermeidung jeglichen Konflikts geht“. Auf zwischenmenschlicher wie auch auf politischer Ebene zeigt sich, dass Konflikte nicht vermieden werden sollen. Die gegenwärtige Politikverdrossenheit ist auch eine Folge fehlender Alternativen, um die gestritten werden muss.

Es gibt aber auch einen zweiten Graben der Konfliktverhärtung. Papst Franziskus warnt daher auch vor der Gefahr, in Gegensätzen nur noch unüberwindliche Widersprüche zu sehen. Aus diesem Grund betont er, dass die „Einheit über dem Konflikt“ steht. Der notwendige Streit in den persönlichen Verhältnissen ebenso wie in der Welt der Politik verlangt die Haltung der Geschwisterlichkeit, die Gegnerschaft nicht zur Feindschaft werden lässt. Dabei treffen wir noch zusätzlich auf die Schwierigkeit, dass es Formen der Geschwisterlichkeit gibt, die Spannungen innerhalb einer Beziehung oder Gruppe gegen gemeinsame Feinde zu überwinden versucht. Es braucht daher die Haltung universaler Geschwisterlichkeit.

Strukturen sozialer Gerechtigkeit, keine zu großen Ungleichheiten sowie Hilfen zur Mediation können zu einem guten Leben mit Konflikten beitragen. Mittels Girards Anthropologie lassen sich auch spirituelle Voraussetzungen für einen guten Umgang mit Konflikten benennen. Dazu zählt die Distanz zu den umkämpften materiellen oder weltlichen Objekten des Begehrens. Die unterschiedlichsten kulturellen oder religiösen Weltanschauungen betonen aus diesem Grund die Haltung der Loslösung.

Mein Tätigkeits- und Wirkungsbereich

Wolfgang Palaver war von 2002 bis 2023 Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Von 2007 bis 2011 war er Präsident des „Colloquium on Violence & Religion“ und von 2013 – 2017 Dekan der Theologischen Fakultät. Seit 2019 ist er Präsident von Pax Christi Österreich. Forschungsinteressen: Gewalt und Religion; Friedensethik; Demokratie; Populismus.

Literaturempfehlungen zum Thema
  • Girard, René/Palaver, Wolfgang: Gewalt und Religion. Ursache oder Wirkung? Übersetzt von H. Lipecky und A. L. Hofbauer. Berlin: Matthes & Seitz, 2018.
  • Girard, René: Warum kämpfen wir? Und wie hören wir auf? Imitation und Streit. Übersetzt von U. Bossier. Ditzingen: Reclam, 2022.
  • Oscar-Preisgekrönter Kurzfilm „Neighbours“ (Norman McLaren - 1952 | 8 min)