Ein Tag mitten in der Hungerkatastrophe in Kenia

So weit Kenia von der Entfernung her weg ist, so schwach ist auch unsere emotionale Verbindung mit den Menschen, die derzeit eine unvorstellbare Hungersnot durchleiden. Josef Marketz, Direktor der Caritas Kärnten, will das ändern. Er hat sich ein Bild von dieser Hungerkatastrophe im Norden Kenias gemacht und stellt die Situation anhand der Erlebnisse an einem einzigen Tag dar.

Von Josef Marketz. Dieser Beitrag ist Teil des Blogs "Hautnah am Hunger".

 

Was soll man nach einem ereignisreichen 14-Stunden-Tag schreiben? Die vielen Begegnungen, die verschiedenen Landschaften beschreiben? Die Fragen, die gestellt wurden und die wenigen Antworten darauf? Oder eigene Betrachtungen zu einem Land mit seinen Problemen und Herausforderungen, die aber nicht nur Kenia betreffen, sondern letztlich die ganze Welt, zu der bekanntlich ja auch Österreich gehört? Ich nehme von jedem ein bisschen, das mir am stärksten in Erinnerung geblieben ist. 

 

Die Pfarren stützen das Bildungs- und Gesundheitssystem

Beim Frühstück haben wir zwei Angestellte der Landesregierung (Countie of Marsabit) kennengelernt, die sehr stolz von ihrem fahrenden Spital erzählten, mit dem sie gerade in Noth Horr eingetroffen sind. Wir durften es später besichtigen, waren jedoch vom pfarrlichen Healthcenter mit seiner Babyfeeding-Station mindestens genauso beeindruckt. Die katholischen Pfarren sind auch hier sehr vielseitig aktiv, vor allem das Bildungs- und Gesundheitssystem würde wohl nur schwer ohne sie auskommen.

Hilfe der Organisationen vor Ort

Ohne die Unterstützung der Organisationen vor Ort würden Gesundheits- und Bildungssystem zusammenbrechen. Sie leisten hier wichtige Hilfe. Deshalb unterstützen wir PACIDA bei ihrer sehr professionellen Arbeit. 

Fahrendes Spital des Landes Marsabit

PACIDA ist die Partnerorganisation der Caritas in Kenia

Von 600 auf 60 Tiere innerhalb weniger Monate

Auf der Fahrt in die Dörfer besuchten wir zuerst zwei Familien in ihren runden Häusern, die irgendwo in der Gegend standen. Wir durften ein Gespräch mit ihnen führen und es auch aufzeichnen. Da wurde uns noch einmal die Dramatik der Situation geschildert. Beide Familien besaßen je 600 Schafe und Ziegen, davon sind der einen 60, der anderen 40 Ziegen übergeblieben. Und jetzt haben sie keine Arbeit und bald auch kein Essen mehr. Dies trifft vor allem die Alten und die Kinder, die so geschwächt sind, dass sie nicht mehr das Hüttenzelt verlassen können. Das Schlimme beim Zuhören war, dass es sich so perspektivenlos anhörte. Sie wissen einfach nicht weiter und warten ab, was die Zukunft bringen wird.

Verendete Ziegen

Video vom April 2017 - warum die Ziegen verendet sind.

80 Prozent der Tiere sind jetzt bereits gestorben - die Lebensgrundlage der Nomaden.

Fahrt über Mondlandschaften

Dann fuhren wir wieder über ausgesprochene Mondlandschaften in zwei Dörfer Yaa Sharbana und Qorqa, wo jeweils der Ältestenrat, bestehend aus lauter älteren und alten Männern unter einem weiten schattenspendenden Baum auf uns wartete. Nachdem wir über den Einsatz von Caritas und Pacida während der beiden letzten Dürreperioden erzählt haben, entwickelte sich beide Male eine sehr spannende und unglaublich disziplinierte Diskussion.

 

Ratlosigkeit ob der Situation

Bei der ersten Runde war ich sehr überrascht, wie sehr sich die Menschen ihrer dramatischen Situation bewusst sind und wie ratlos sie ihr gegenüberstehen. Schon mehrmals hätten sie Dürrperioden durchgestanden. Und sie werden auch diese durchstehen, aber sie fürchten sich vor allem vor der Zukunft, denn sie wissen inzwischen, dass diese sich immer schneller wiederholen werden und sie nichts anders können als Viehhirten sein: „Wir können auch nicht fort, wohin sollen wir gehen. In die Stadt? Von uns Erwachsenen sind fast 100% Analphabeten, wir sprechen nur unsere Muttersprache, kein Englisch, nicht einmal Suaheli!“

Nomaden in der Wüste

In Marsabit gibt es für gewöhnlich zwei Regenzeiten im Jahr, eine stärkere im April/Mai und eine schwächere im Oktober/November. Beide sind nun ausgefallen, was eine enorme Dürre bedeutet, wie auf den Fotos sehr gut zu sehen ist. Dass 80 Prozent der Tiere verendet ist, ist kein Wunder.

Wir durften mit den Ältesten der Nomaden sprechen.

Besonders betroffen vom Hunger sind die Schwächsten der Gesellschaft.

Die Nomaden leben in Rundhütten in Gegenden, die derzeit wie Wüsten aussehen.

Zwei Regenzeiten sind ausgefallen, weshalb die Böden völlig ausgetrocknet sind.

Auf der Autofahrt sind wir einer von wenigen Herden begegnet.

Kadaver liegen überall neben der Straße.

Die Kinder werden aus der Schule genommen

Nach ähnlichen Wortmeldungen stand der Dorflehrer auf, der Englisch sprach und in die Stammessprache übersetzt werden musste. Er bestätigte das Gesagte, wandte sich aber sehr kritisch an die übrigen Männer: „Seit 2010 haben wir eine schöne Schule im Dorf. Der Staat zahlt nur die Lehrer, für alles Übrige müsst ihr aufkommen. Gerade in so einer Situation müsstet ihr noch mehr Sorge für die Schule haben, die Zukunft eurer Kinder. Aber was tut ihr? Ihr liegt hier herum, beklagt euch und schickt eure Kinder auch nicht mehr zur Schule, weil ihr das Schulgeld nicht zahlen könnt oder wollt. So nehmt ihr auch ihnen die Zukunft!“ Lösung für die derzeitige Situation hatte er auch keine. Wieder andere brachten es auf den Punkt: Sie könnten nichts Anderes tun als Organisationen wie der Caritas und Pacida ihren Dank sagen, ohne sie wüssten sie nicht was tun.

Vom reichen Viehhirten zum hungernden Menschen

Anders verlief die Diskussion bei der zweiten Runde, wo wir zuerst eine sehr tragische Situation wahrnehmen mussten. Die Viehhirten waren reich, hatten große Herden, mit denen sie herumzogen. Immer wieder machten sie Halt, holten von ihren Lastkamelen die Bestandteile ihrer Hütten und ihr übriges Hab und Gut herunter – die Alten, die Frauen und Kinder wohnten dort eine Weile, die Männer führten die Tiere auf die Weide. Nun sind alle Kamele vor Hunger verendet, auch der größte Teil des Viehbestandes, einige Familienmitglieder suchen für die verbleibenden Tiere Weidefläche, sie aber bleiben untätig bei ihren Hütten mitten in der Steinwüste, inmitten ihrer verendeten Tiere und fürchten nun auch noch ihre Kinder, die in höheren Schulen oder Universitäten studieren, heimholen zu müssen, weil sie das Studium nicht mehr bezahlen können.

Die Regierungshilfe lässt auf sich warten

Und sie lassen sich über die Regierung aus. Drei Säcke Mais hätten sie ihnen gebracht, sie einfach ausgeladen, und das für 150 Familien. Und bei einer Wahlveranstaltung haben sie ihnen zwei große Wassertanks versprochen und zugestellt, nur das Wasser fehlt noch immer! Auch hier der Dank und die Bitte um Unterstützung, die ihnen im Moment das Überleben sichert. Auch hier wird nicht wirklich weitergedacht. Und am allerwenigsten tut das die Regierung, entnehmen wir aus den Erzählungen.

Über den Autor - Bischofsvikar Josef Marketz

Josef Marketz ist Direktor der Caritas Kärnten.

Studium der Theologie an der Universität Salzburg und der theologischen Hochschule Ljubljana mit Studienaufenthalt in Rom und Jerusalem. Diakonatsjahr in Salitre/Ecuador, Priesterweihe 1982. Besucht immer wieder Caritas-Projekte im Ausland und ist kürzlich von einer Reise in den Norden Kenias zurückgekommen.

Über diesen Blog

Im Blog "Für eine Zukunft ohne Hunger" erzählen Caritas-HelferInnen von vor Ort. Was haben sie gesehen? Warum wird Hilfe benötigt? Und wie wird geholfen?

ein kleines Kind hockt barfuß in einer ausgetrockneten Landschaft, welche bis zum Horizont von Dürre gezeichnet ist
Für eine Zukunft ohne Hunger

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