Offener Brief zur Aufstockung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit an die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung und die Mitglieder des Nationalrates

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrter Herr Vizekanzler,
sehr geehrter Herr Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten,
sehr geehrter Herr Bundesminister für Finanzen,

als Mitglieder der Bundesregierung haben Sie zuletzt selbst betont, dass es jetzt vorrangig Ihre Aufgabe sei, das geltende Regierungsprogramm umzusetzen. Dieses beinhaltet unter anderem, die Ausgaben für Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit schrittweise auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen.

Wir begrüßen, dass im Entwurf für das neue Budget, das am 19. November im Plenum des Parlaments beschlossen werden soll, die Mittel für den Auslandskatastrophenfonds um 2,5 Mio. Euro auf 55 Mio. Euro erhöht werden sollen. Ebenso positiv ist es, dass die Regierung die weltweiten Impfanstrengungen unterstützt und der Ministerrat beschlossen hat, in Öster-reich entbehrlichen Impfstoff zu spenden und 5 Millionen Euro für die Umsetzung von Impf-programmen und die notwendigen Begleitmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Umso bedauerlicher sehen wir die Tatsache, dass die Mittel für Entwicklungszusammenar-beit insgesamt auf niedrigem Niveau verharren sollen. Dies widerspricht dem im Regierungs-programm klar benannten Bekenntnis zum Ausbau bilateraler Hilfe etwa in Krisenregionen. Und um es mit klaren Worten zu sagen: Wir finden das sehr enttäuschend. Während Länder vergleichbarer Finanzkraft und Größe aufstocken, kultiviert Österreich die Stagnation. Wäh-rend andere vorangehen, hinkt Österreich hinterher – und das in Zeiten, in denen die CO-VID-19 Pandemie als Brandbeschleuniger viele Erfolge im Rahmen nachhaltiger Entwicklung zunichtegemacht hat. Laut UNO und Weltbank wird durch COVID-19 die Anzahl derjenigen, die als extrem arm gelten, also von unter 1,60 Euro pro Tag leben müssen, auf über eine Mil-liarde steigen.

Gerade das vergangene Jahr hat gezeigt, wie vernetzt unsere Welt ist. Die Auswirkungen der Pandemie sind für die ärmsten Menschen des globalen Südens mit schwachen Gesund-heitssystemen besonders gravierend. Auch von der Klimakrise sind am stärksten jene betrof-fen, die sie am wenigsten verursacht haben. Ihre Folgen zwingen Menschen dazu, ihre Hei-mat zu verlassen. Zudem herrschen in vielen Teilen der Erde Krieg und gewaltsame Kon-flikte. Derzeit sind mehr als 82 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – so viele wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund sind die deklarierten Vorhaben im Regierungsprogramm so wichtig. Aus humanitärem Interesse heraus, aber auch aus Ei-geninteresse. Denn in unserer vernetzten Welt haben Pandemien, Umweltzerstörung und Klimakatastrophen Einfluss auf das Leben aller. Stabilität in der Welt ist im Interesse Öster-reichs. Als kleines erfolgreiches Land haben wir schon oft bewiesen, dass wir Verantwortung in der Welt übernehmen, Menschen Hoffnung und damit Lebensperspektiven geben können. Es gilt, diese Tradition fortzusetzen.

Wir ersuchen daher dringend, die Entscheidung über die Mittel für die Entwicklungs-zusammenarbeit im Budget für 2022 zu überdenken. Bitte, bessern Sie nach! Es gilt da-ran mitzuarbeiten, den Kreislauf von Armut, Hunger und Gewalt zu durchbrechen. Es gilt, an einer sicheren Zukunft für alle mitzuarbeiten. Es braucht einen stabilen Wachstumspfad im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, um Sicherheit und Verlässlichkeit für Menschen, die sich in Not befinden, zu garantieren.

Insbesondere müssen mit den erhöhten Mitteln für die bilaterale Entwicklungszusam-menarbeit Maßnahmen in den folgenden Bereichen umgesetzt werden:

1. Globaler Kampf gegen die Pandemie
Um den Kampf gegen Pandemien gewinnen zu können, braucht es entwickelte Ge-sundheitssysteme. Mit Mitteln der bilateralen Entwicklungshilfe gilt es, lokale Gesund-heitssysteme zu stärken und damit die Widerstandsfähigkeit gegenüber Pandemien zu erhöhen.

2. Schutz vor den Folgen der Klimakrise
Die Klimakrise hat verheerende Folgen in den Ländern des globalen Südens. Verrin-gerte Bodenfruchtbarkeit, Erosion und Wasserknappheit sowie Starkregenfälle und Überflutungen zerstören ganze Lebensgrundlagen. Neben der Intensivierung des Kampfes gegen die Klimakrise braucht es Maßnahmen der Entwicklungszusammen-arbeit. Diese sind wesentlich, um Chancen und Lebensperspektiven zu erhöhen.

3. Globale Erreichung der Sustainable Development Goals
Nicht zuletzt braucht es die Stärkung der bilateralen Hilfe um global die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO zu erreichen.

Helfen Sie mit einem Gesetz zur Entwicklungsfinanzierung!

Die Grundausrichtung der österreichischen Entwicklungshilfe orientiert sich am demnächst anstehenden Dreijahresprogramm. Dieses muss eine Antwort auf die dramatischen globalen Entwicklungen und zunehmenden Krisen sein. Es braucht in diesem Dokument nicht nur klare Zielsetzungen, sondern auch eine gesicherte Finanzierung. Wir appellieren, das Drei-jahresprogramm mit einem Finanzierungsgesetz für Entwicklungszusammenarbeit zu verbin-den. Dies macht die weiterhin dringend notwendige Hilfe in Krisengebieten planungssicher und transparent.

Klar ist: Nur gemeinsam können wir globale Krisen lösen. Österreich muss seinen Beitrag leisten, um auch selbst krisensicher zu werden.

Wir erlauben uns, diesen Brief auch an die Mitglieder des österreichischen Nationalrats zu übermitteln mit der Bitte, im Rahmen des Budgetprozesses entsprechende Verbesserungen umzusetzen.

Hochachtungsvoll,

Michael Landau
Präsident der Caritas Österreich

Gerald Schöpfer
Präsident Österreichisches Rotes Kreuz